Befindlichkeit – was eine Hamsterradpause alles auslöst
Wir sind nun seit gut einem Monat unterwegs mit unserem Freigeist und es ist an der Zeit, die vielen Eindrücke mal etwas zu sortieren. Wir stehen nun im Nordwesten von Estland am äussersten Zipfel der Insel Hiiuma und haben heute einen Ruhetag eingeschaltet. Nicht dass wir sonst Stress hätten, dennoch haben wir festgestellt, dass wir zwischendurch Tage brauchen, an denen wir weder fahren noch irgendwelche Sehenswürdigkeiten besichtigen oder uns sportlich betätigen. Einfach mal die Seele baumeln lassen, etwas „wohnen“ im und um den Freigeist herum und dem Körper und dem Geist Zeit lassen, sich auf das was ist oder eben nicht ist einzulassen. Das ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse dieses ersten Monates unterwegs und eine der schwierigeren Aufgaben. Wir sind es uns ja aus unserem Alltag gewohnt die Zeit zu nutzen, möglichst aktiv durch das Leben zu rasen, nichts anbrennen zu lassen und vergessen dabei manchmal, dass Langeweile und Nichtstun ja eigentlich genauso wertvolle Aspekte des Lebens sind, die aber gar nicht so einfach zuzulassen sind. Wir sprechen grad viel über dieses Hamsterrad, in dem wir uns „normalerweise“ befinden und was das mit uns macht respektive welche Qualitäten des Lebens wir es jetzt erleben, in dieser Hamsterradpause.
Stellplätze – wie vielseitig wir grad wohnen
Wir sind bis anhin ca. jeden zweiten Tag gefahren und haben bereits 4000 km gemacht, haben viele schöne Orte hinter uns gelassen – zugegebenermassen manchmal mit Wehmut – und dadurch immer wieder schöne neue Orte entdeckt. Der Mix aus Stellplätzen in der freien Natur ohne Infrastruktur und solche auf Campingplätzen oder Stellplätzen, die alles bieten, was wir so für die Verrichtungen des Alltags benötigen ist aus unserer Sicht sehr spannend und wir würden ungern eine der beiden Varianten missen. Stehen wir in der Natur, dann sind wir total eingenommen von den unglaublich vielseitigen Naturschauspielen, den Pflanzen, den Tieren und den Landschaften oder geniessen einfach die Zweisamkeit. Stehen wir an „zivilisierten“ Orten, dann profitieren wir von der Gesellschaft anderer Menschen, beobachten sie oder kommen auch gerne ins Gespräch mit Einheimischen oder anderen Reisenden. Wobei wir nach diesem Monat auch sagen können, dass es sehr wenige andere Touristen gibt, wir scheinen tatsächlich noch zu den ersten zu gehören, die sich nach (oder während) der Coronakrise wieder auf Reisen wagen. Das ist einerseits natürlich total schön und entspannt, andererseits machen wir uns schon auch Gedanken dazu und fragen uns manchmal, was das für die Regionen heisst, die vom Tourismus leben.
Menschen und Begegnungen – Gastfreundschaft, Herzlichkeit und Toleranz
Einmal mehr dürfen wir feststellen, dass man als Reisende gerade in den Ländern Osteuropas extrem herzlich aufgenommen wird und die Menschen dermassen freundlich sind, dass einem das Herz einfach aufgeht. Sei es in Polen, in der Slowakei oder in den baltischen Staaten – wir fühlen uns einfach wohl und freuen uns über jede Begegnung, jedes Schwätzchen und sind auch immer wieder erfreut, wie stolz die Menschen hier über ihre Heimat und deren Schätze berichten, uns Tipps geben, uns helfen, wenn wir mal nicht weiterwissen. Und es ist wirklich so: wider aller Sprachgrenzen ist es immer möglich, miteinander zu reden, zu lachen und sich gegenseitig in den Unterschieden wertzuschätzen. Das aufeinander zukommen ist je nach Land und wahrscheinlich kulturellen Hintergründen etwas unterschiedlich. Wo wir in Polen und der Slowakei noch eher das Gefühl hatten, die Leute kommen sehr offensiv auf uns zu, bemerken wir im Baltikum eine grosse Zurückhaltung. Dies ist aber eher eine Höflichkeitsfrage und in keiner Weise Abweisung, denn wir erleben tagtäglich, dass hinter dieser Zurückhaltung eine grosse Freundlichkeit und vor allem eine Toleranz steht, von der wir uns gerne ein Stückchen abschneiden.
Schauplätze – die Kunst auch mal etwas wegzulassen
Wie bereits erwähnt, sind wir voller Eindrücke, haben bereits sehr viel gesehen, ein Highlight jagt das andere und wir sind kaum in der Lage alles aufzuzählen geschweige denn zu sortieren. Grad eben haben wir nochmals versucht alle unsere Etappen und damit die von uns besuchten Orte nachzuvollziehen und in einer Ordnung zu bringen. Bereits nach einem Monat ist das gar nicht mehr so einfach. Was wir aber schon gelernt haben ist, dass wir gar nicht jeder Sehenswürdigkeit, jedem in der Reiseliteratur als „besonders“ gekennzeichnetem Ort oder jeder Attraktion nacheilen müssen. Unser Gefühl, unsere Leidenschaft uns zu Orten und an den Orten selber treiben zu lassen, scheint für uns ideal zu sein. Auch schon haben wir im Nachhinein gelesen, dass wir noch da und dort hätten vorbeischauen können – jedes Mal aber sind wir dann zum Schluss gekommen, dass wir dadurch etwas anderes – vielleicht spontan entdecktes – verpasst hätten. Unsere Route und damit unsere Blogs werden wohl nicht als lückenlose Reiseführer in die Geschichte eingehen, dafür aber sind sie geprägt von Spontanität, vielleicht auch mal etwas Unerwartetem und vor allem von unserer Lust des Entdeckens.
Freigeist – zwar steht er vor Schmutz ansonsten läuft er aber wie am Schnürchen
Freigeist macht sehr gut mit und läuft und läuft und läuft. Zwischenzeitlich hatte er mal eine kleine Schwäche irgendwo unten rechst bei der Feder am Rad – das hat sich aber nach einem kurzen Besuch bei der Opelgarage in Klapedia (wohlgemerkt ohne dass überhaupt jemand unter den Wagen geschaut hätte) wieder erledigt. War wohl ein Stein oder eine leicht verschobene Feder – auf jeden Fall nichts Gravierendes. Aber wie gesagt im Gegensatz zu uns, die doch regelmässig duschen können, ist der Freigeist erst einmal abgedampft worden und er steht im Moment vor Dreck. Aber es steht ihm gut, er sieht richtig verwegen aus mit seinem grauen Schimmer – die Scheiben müssen wir dann doch ab und zu mal wieder reinigen.
Aber auch die Innenausstattung bewährt sich vollends, wir haben ja schon einige Gelegenheiten gehabt, das eine oder andere noch zu optimieren und müssen sagen: im Moment ist alles perfetto und wir fühlen uns wohl in unserem Zuhause. Natürlich müssen wir dazu noch sagen, dass wir seit Beginn unserer Reise eigentlich nur schönes Wetter hatten und ganz viel draussen sind – wenn wir dann mal ein paar Tage in der Stube hocken müssen (die gleichzeitig Küche, Schlafzimmer, Bad, Abstellkammer und Fahrerkabine ist), dann wird es dann schon eng, aber davon dann mehr, wenn es mal so weit sein sollte.
Ausblick – wie die Weiterreise aussieht entscheidet sich bald
Im Moment sind wir ja überall problemlos durchgekommen, dies dank Impfzertifikat aber auch sehr gut dokumentierten Internetseiten, auf denen wir uns jeweils frühzeitig erkundigen können, welche Formulare wir brauchen, was wir vor der Einreise tun müssen und welche Massnahmen im Land selber gelten. Unsere eigentliche Challange ist nun aber der Grenzübertritt nach Russland, den wir im Laufe der nächsten Woche in Angriff nehmen wollen. Wir sind zwar ausgestattet mit einem Businessvisum für Russland, dennoch sieht es nicht so gut aus mit der Einreise, da die Grenze via Landweg noch immer nicht passierbar zu sein scheint. Zudem kommt hinzu, dass Russland gerade einem weiteren Lockdown entgegenschlittert (in einigen Regionen ist er schon Tatsache) und die Zahlen enorm steigen im Moment. Wir bleiben aber bei unserem Plan, den Übertritt in Narva zu versuchen und dann je nachdem halt zu entscheiden, wohin es gehen soll, wenn wir nicht nach Russland dürfen.
Wir bleiben dran, halten euch auf dem Laufenden und freuen uns übrigens über alle Kommentare von euch!
Hoi Zusammen, finde es toll wie ihr die Reise angeht. Auch erlebe ich anhand eures Blogs meine Reise im 1999 nochmals hautnah mit. Die Erinnerung an ähnliche Begebenheiten wie mit der Natur und den Menschen haben mich auch immer wieder sehr stark beschäftigt. „Soll ich bleiben oder doch weiter“! Ich war meistens 1Woche in der Wildnis vor allem in Kanada und dann auch nur auf einfachen Stellplätzen vom Staat. Ausser mal ein Ranger der mir mit dem Holz spalten geholfen hat, war ich meistens alleine mit mir und der Natur. Dann habe ich wieder genossen auf einem Campground zu sein mit Waschmaschine und dem ganzen Luxus inmitten von anderen Reisenden.
Ich wünsche euch weiterhin viele schöne Erlebnisse und dass es euch gelingt die Tour wie geplant weiter zu erleben.
Liebe Grüsse
Danke, schön wenn unsere Texte und Bilder etwas zum träumen anregen.
Hopp er zwoa
Jetzt habe ich grade einen langen Kommentar verfasst und dann „deleted“ – so ein Scheiss.
Also zweiter Versuch:
Kompliment für die Zusammenfassung des ersten Monats bzw. eurer Eindrücke. Ich kann richtig mitfahren und miterleben, wie es euch so geht. Es freut mich sehr, dass ihr bisher gutes Wetter hattet und entsprechend die Natur/-phänome geniessen könnt. So gibt es weniger den Lagerkoller, obwohl der Freigeist ja wohlüberlegt ausgebaut wurde.
Ich wünsche euch für die Weiterfahrt alles Gute, viel Glück und dass ihr an freundliche Grenzer gelangt, die euch reinlassen…
Ich werde heute versuchen, den Abstieg unserer IC-Mannschaft verhindern zu helfen und steige aktiv in die Wettkampfsaison ein.
Alles Gute, unfallfreie Fahrt und bleibt gesund.
Lüüba Gruass us de Heimat