Befindlichkeit – wir haben die Komfortzone verlassen
Nach unserem ersten Monat durch Europa haben wir uns an unser Nomadenleben gewöhnt und der Zeitpunkt für den nächsten Schritt ist gekommen. Es war uns natürlich bewusst, dass wir ab dem Moment ab dem wir Europa verlassen, auch ein Stück weit die Komfortzone verlassen werden – was es dann aber bedeutet und wie es uns damit geht, das wissen wir erst im Nachhinein. Beginnend bei den Grenzübertritten, den Formalitäten, der Sprache und der Infrastruktur, das alles würde sich ändern, sollten wir nach Russland einreisen können. Den Grenzübertritt haben wir versucht, obwohl wir wenig Aussicht auf Erfolg sahen. Dennoch war es für uns wichtig, es effektiv zu versuchen, denn ansonsten hätten wir uns wohl ständig fragen müssen, ob wir eine Chance verpasst haben. Und wahrlich, es war ein Erlebnis für sich und wir sind froh, es in Angriff genommen zu haben – und passiert ist uns ja nichts, ausser dass wir erfahren haben, dass es auch an der Grenze zu Russland möglich ist, mit den Menschen zu verhandeln, dass wir trotz negativem Bescheid freundlich – wenn auch bestimmt – zurückgeschickt werden und dass das wiederum Potential für neue Routen und Erfahrungen bietet. Die Ukraine, die wir als Alternative gewählt haben empfängt uns an der Grenze erstmal etwas unübersichtlich – dennoch aber auch wieder freundlich. Aber bereits kurz nach der Grenze merken wir, dass es nun anders weiter geht. Wir werden von freundlichen Menschen mehrfach gewarnt, dass wir etwas auf uns, unseren Freigeist und zum Beispiel auf die Nummernschilder Acht geben müssen, machen unsere Erfahrungen mit der Polizei, auf die man sich hier nicht wirklich verlassen kann und sind vor allem extrem gefordert beim Suchen und Finden von Übernachtungsmöglichkeiten. Das zehrt an unseren Kräften und auch an unserer Selbstsicherheit und wir müssen laufend neue Strategien finden, wie wir damit umgehen. Wir schlafen nicht immer ruhig, brauchen auf den Strassen viel Konzentration und Zeit und kämpfen zwischenzeitlich etwas mit unserer Energie und Zuversicht, dass wir das alles packen. Aber und das ist eine wichtige Erkenntnis: es gibt immer eine Lösung, zwischendurch lohnt es sich auch mal mutig eine etwas unsichere Situation auszuhalten – immer mit der notwendigen Vorsicht und dem Respekt und im Notfall ist es halt einfach auch mal nötig, sich ein Hotel zu nehmen und dort ein oder zwei Nächte zu verweilen, den Freigeist gut bewacht dort stehen zu lassen und alles weitere zu geniessen.

Plan B – vom ändern der Pläne oder vom anderen Planen
Nachdem definitiv klar war, dass Russland und damit unser Hauptplan nicht aufgeht, haben wir uns daran gemacht, Plan B zu schmieden. Etwas weniger akribisch aber dennoch geplant haben wir uns auf die neue Route begeben, merkten jedoch schon bald, dass auch da nicht alles so aufgehen wird wie wir uns das in Etwa vorgestellt hatten. So wurde aus den geplanten drei Wochen Ukraine dann doch nur eine Woche. Wir buchen relativ kurzfristig die Fähre von Odessa nach Batumi Georgien und wissen bis ganz zum Schluss nicht genau, ob das dann auch wirklich klappt. Denn Planen geht hier anders als wir uns das gewohnt sind. Fahrpläne, Buchungsmöglichkeiten, Zeitangaben etc. gibt es zwar, jedoch ist das einfach auch nicht immer so sicher und es gilt das alles Auszuhalten, die Nerven zu behalten und sich auf ständig Neues einzulassen. Wir sind aber erstaunlich flexibel und finden uns – vielleicht einfach auch mangels Alternativen – rasch zurecht. Die paar Brocken Russisch und vor allem die Möglichkeit die kyrillische Schrift zu lesen, helfen uns da schon weiter und wir sind froh, diesen Kurs gemacht zu haben. Auch sonst sind wir schon ziemliche Expert*innen geworden im Recherchieren, Formulare ausfüllen, Nachfragen und beharren auf Antworten – immer aber im Wissen, dass das was heute gilt, vielleicht morgen dann doch anders aussieht. So wird aus Plan B eher die Strategie, das Planen an sich anders anzugehen und eher mal von heute auf morgen zu schauen und die Probleme dann zu lösen, wenn sie wirklich da sind. Selbstverständlich hilft uns da, dass wir genügen Zeit haben und aber auch, das muss hier auch mal gesagt werden – dass unser Budget nicht ganz so knapp ausfällt und wir uns auch mal eine Zusatztaxe oder wie beschrieben, eine Nacht im Hotel leisten können. So gelingt es uns auch, den Moment zu geniessen, das sich spontan (wegen Planänderungen) ergebende zu schätzen und uns dem was kommt einfach zu öffnen.
Grenzübertritte – man wird etwas cooler mit der Zeit und braucht vor allem Zeit!
Wir haben nun doch einige aufwändige Grenzübertritte absolviert und was wir gelernt haben ist: auch wenn die Beamt*innen es sehr genau nehmen, streng und autoritär auftreten, am Schluss gehts dann doch und wir werden immer gut behandelt, zwischendurch ist auch bei den grumligen Uniformierten sogar mal ein humorvolles Wort möglich. Ebenfalls wissen wir, dass es eine gute Portion Coolness braucht – denn solange man kooperiert, keinen Stress macht und selber nicht nervös reagiert, sind diese Kontrollen letztlich doch harmlos. Was es auch braucht ist einerseits Zeit und andererseits viele Stempel, die man an den Checkpoints regelrecht zusammensammeln muss, indem man von Schalter zu Schalter pilgert, den Wagen erneut öffnet und auch dem dritten Beamten nochmals Einlass gewährt, alle Papiere dreimal vorzeigt und immer freundlich lächelt. Und: verliere nie einen Laufzettel (sei er noch so munzig) mit einem Stempel oder eine handgeschriebenen Notiz drauf – irgendwo wird der wieder eingesammelt und erst dann geht der Schlagbaum auf! Und wenn man aufgefordert wird, die Fähre mit Handgepäck zu besteigen obwohl Freigeist noch an Land steht dann hat man dieser Anweisung zu folgen – auch wenn das Morgens um 3 Uhr ist und man nicht recht verstanden hat, wann und wie das Auto nun auf die Fähre kommt. Die Agenten und Beamten haben die Situation im Griff und klopfen dich verlässlich aus dem Bett, sobald du das Auto dann holen kannst.

Menschen und Begegnungen – Annähern, Abtasten, Abschätzen
Weiterhin treffen wir eigentlich nur auf nette Menschen, die es offensichtlich gut meinen mit uns. Was sich vor allem hier in der Ukraine geändert hat ist, dass die erste Begegnung selten herzlich oder freundlich wirkt, dies muss man sich erarbeiten mit viel Geduld, einem Wort auf ukrainisch oder manchmal auch einem guten Trinkgeld – aber letztlich funktioniert es und hat sich das Gegenüber geöffnet, dann kann man vieles haben. Auch das ist eine wichtige Erfahrung die wir machen: wir lernen, uns nicht gleich verunsichern zu lassen, nur weil sich die Menschen im ersten Moment anders verhalten, als das wir uns das gewohnt sind. Es gilt, die eigenen Erwartungen erstmal runterzuschrauben und sich dann positiv überraschen zu lassen. Allerdings macht das natürlich auch etwas mit uns selber, denn irgendwie ist man damit auch einfach mal dem eigenen Gefühl fürs Gegenüber, der Menschenkenntnis und der Fähigkeit Situationen und Gefahren einschätzen zu können beraubt. Das verunsichert uns oft und kostet uns auch Energie. Wir schlagen uns aber gut durch und merken auch, dass wir uns da gegenseitig gut ergänzen – einer/eine von uns hat dann im entscheidenden Moment schon die notwendigen Ressourcen und kann die Situation managen, den/die andere beruhigen oder entlasten. Wir sind glücklich, dass wir auch in diesen aussergewöhnlichen Situationen gut funktionieren zusammen.
Zwischendurch gibts dann auch wahre Engel, zum Beispiel die Dame an der Hotelrezeption, die erstens sehr gut Englisch spricht und sich zweitens die Zeit nimmt und sich mit uns in der Hotellobby gemeinsam durch den Buchungsprozess bei der Fährgesellschaft kämpft, dort für uns anruft, klärt und Kontakte knüpft, so dass wir nachher selber mit der richtigen Person verhandeln können. Oder die Camper, und Tramper, die wir beim Wartebereich zum Fährenbording treffen und mit denen wir einen gemütlichen Abend vor, und zwei sehr anregungsreiche interessante Tage auf der Fähre verbringen, denn wir sind nur ca. 10 touristische Passagiere auf dem Frachter, alle anderen sind Lastwagenfahrer. Man hilft sich aus, erzählt sich aus dem Leben und gibt Tips und Erfahrungen weiter – es ist sehr schön und interessant, wie eine so kurze aber intensive gemeinsame Zeit zusammenschweissen kann. Aber auch die Lastwagenchauffeure wachsen uns ans Herz in diesen zwei Tagen auf der Fähre, ob sie mit uns am Tisch essen, mit Marco Back Gammon spielen oder uns eine halbe Wurst schenken: sie sind total nett und zugänglich.

Freigeist – braucht zwischendurch etwas Extraaufmerksamkeit
Freigeist muss einiges aushalten im Moment, die Strassen sind teilweise schon sehr schlecht und manchmal machen wir uns etwas Sorgen, ob er das alles gut übersteht. Aber auch hier gilt: wir lösen Probleme dann, wenn sie da sind und inzwischen passen wir einfach gut auf ihn auf. Auch fällt es uns nicht mehr so leicht, ihn einfach irgendwo hinzustellen uns uns von ihm zu entfernen – wir nehmen schon wahr, dass es hier nicht mehr ganz so sicher ist und möchten eigentlich einen Einbruch oder gestohlene Nummernschilder vermeiden. Oftmals gibt es aber die Möglichkeit von bewachten Parkplätzen, die wir wenn möglich immer nutzen und das Nummernschild nehmen wir im Zweifelsfall mit und hängen unser selbtgebasteltes Duplikat hin.

Ausblick – erstmal Georgien
Wir sind nun auf der Fähre, geniessen die Atmosphäre des etwas heruntergekommenen Frachters, der wohl schon bessere Zeiten erlebt hat, schauen ins weite Meer hinaus, beobachten Delfine und erspähen die Krim von weitem und lassen uns mit sehr deftiger Kost verwöhnen. In Georgien werden wir erstmal etwas länger bleiben und dann weiterschauen, wo es uns hintreibt. Wir haben aber so viel Gutes gehört über das Land, dass wir zuversichtlich sind, da sicher einen Monat gut und ohne Langeweile verbringen zu können. Wir freuen uns!
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