12/32 Die Landschaft ist wunderschön – die Kontakte mit den Menschen hier übertreffen aber alles

16. August 2021 | Blogs der Reise, Eurasientour

12/32 Die Landschaft ist wunderschön – die Kontakte mit den Menschen hier übertreffen aber alles

Auf dem Weg zur Höhlenstadt Uplisziche übernachten wir in der Nähe eines Bauernhofes. Wir sind nicht ganz sicher, ob der Grund zum Hof gehört und wollen gerne bei der Bauernfamilie nachfragen, ob es in Ordnung ist, dass wir hier stehen und würden gerne auch etwas für die Übernachtung bezahlen. Bevor wir aber dazukommen zum Hof zu gehen und jemanden zu suchen, kommt ein älterer Herr auf uns zu – wie sich herausstellt der Bauer. Er spricht russisch und wir sind einmal mehr froh, dass wir wenigstens einige Brocken sprechen und doch einiges verstehen. Wir fragen also ob wir hier stören oder ob wir bleiben dürfen und der Mann winkt nur ab, sagt es sei alles gut und übergibt uns eine Flasche Wein und eine Tüte voll mit frischem Gemüse und Obst vom Hof – die er mitgebracht hat. Später am Abend werden wir noch über das gesamte Gehöft geführt, bei jedem Pflaumen- Granatapfel- Nussbaum werden wir weiter reich beschenkt und als ob das nicht genug wäre, sind wir danach dann noch von der Familie zu einem reichhaltigen Abendessen eingeladen in der gemütlichen Stube. Einmal mehr kämpfen wir mit unseren Vorstellungen, die wir aus unserem Heimatland mitbringen: Wir würden ja sagen, wir geben etwas, mindestens symbolisch dafür, dass wir hier einfach stehen und schlafen dürfen mit unserem Freigeist. Aber hier ist das umgekehrt und wird so durch und durch gelebt, davon haben wir ja schon x-Mal berichtet. Jeder Gast gilt hier als Geschenk Gottes und wird dementsprechend behandelt. Wir merken, dass wir solche Gesten und die Geschenke mittlerweile besser annehmen können, jedoch können wir den Impuls doch unbedingt auch etwas zurückzugeben kaum unterdrücken. Materielles ist in diesen Momenten aber nicht angebracht, das haben wir mittlerweile gelernt und kennen wir übrigens auch von unserer Balkantour vor zwei Jahren, als wir in Albanien und Montenegro ähnliches erlebt haben. 

Was wir geben können ist echtes Interesse an dem Leben der Menschen, das Ausdrücken unserer Freude am Land und die Zeit, den Geschichten zuzuhören. Die Familie erzählt uns im Laufe des Nachmittags und Abends ihre Geschichte, die von ganz alltäglichen Sorgen handelt aber auch von einer Vergangenheit, die uns sehr nachdenklich stimmt. Die Verständigung klappt mit Russisch, der Übersetzung des Enkels, der sehr gut Englisch spricht und einmal mehr mit Gesten und Mimik. 

Die Familie musste im Jahr 2008 aufgrund des Kaukasuskriegs aus Abchasien nach Riga fliehen und alles zurücklassen. Zwei Jahre später sind sie dann nach Georgien zurückgekehrt, allerdings in eine neue Region, in der sie ein neues Haus und Land erwerben mussten und sozusagen nochmals ganz von vorne begonnen haben. Der militärische Konflikt im Südkaukasus, bei dem es im Grunde um die Unabhängigkeit der beiden Republiken Abchasien und Südossetien ging, wurde auf georgischem Staatsgebiet ausgetragen. Die beiden Republiken sind heute noch immer besetzt und werden bspw. von Russland als eigene Republiken anerkannt. Georgien wehrt sich natürlich dagegen, denn eine definitive Abspaltung würde das Land geopolitisch ziemlich auseinanderreissen. Die beiden Gebiete können nicht bereist und auch von den ehemaligen Bewohner*innen nicht betreten werden – sie erzählen uns, dass sie dort noch viele Verwandte haben und diese weder besuchen noch kontaktieren können. Der Bauer erzählt, dass er nicht mal der Beerdigung seines Bruders beiwohnen konnte – was für eine traurige Geschichte! Uns wird grad sehr bewusst, wie privilegiert wir sind – wir reisen zum Vergnügen – im Gegensatz zu den vielen Menschen, die aus ihrer Heimat vertrieben werden und deshalb unterwegs sind. Man könnte ja jetzt sagen, dass diese Familie sicher ein schönes Fleckchen gefunden hat, aber dennoch ist es eben nicht die Heimat und wir nehmen wahr, dass der alle, vom Enkel bis zur Grossmutter am Tisch sehr emotional werden beim Erzählen. Sie haben neben ihrem ganzen Besitz auch fast alle sozialen Kontakten zurückgelassen und da stecken wahnsinnige Geschichten dahinter und wir können das ganze Ausmass ja nur erahnen. Und – leider aus aktuellem Anlass – denken wir natürlich auch an die vielen Menschen, die auf der ganzen Welt und grad jetzt wieder in Afghanistan (das ja nicht so weit von unserem aktuellen Aufenthaltsort liegt)  im und mit dem Krieg leben müssen, um ihr Leben fürchten, vertrieben werden und da wo sie ihre Flucht hinführt leider oftmals nicht so herzlich willkommen geheissen werden. 

Ja, so schön und idyllisch das Reisen ist, man kommt zum ja auch mit den Realitäten dieser Welt in Kontakt und wir wollen auch da wenigstens mit offenen Ohren und Augen hinhören und hinschauen, das eine oder andere Vorurteil vielleicht vernichten und unsere Erlebnisse und das was wir hier aus erster Hand von betroffenen Menschen erfahren mit euch zu Hause teilen.

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